Es war ein Donnerstagabend in der Heile Welt, einer dieser kleinen Bars in Münster, wo die Wände sich unter der Last der Vergangenheit zu biegen scheinen und die Luft so dick ist, dass man sie mit einem stumpfen Messer schneiden könnte. Die Bühne, kaum größer als ein Sargdeckel und beleuchtet wie eine Kerze im Sturm, bot einen seltsamen Kontrast zu der Hitze des Abends. Das Publikum, eine bunte Mischung aus Studenten, Freaks und verlorenen Seelen, schwitzte unter dem Druck des Alltags, den sie hier versuchten, in Alkohol zu ertränken.
Da standen sie dann auf der Bühne – die Mary Lee Family Band, eine brasilianische Bluegrass-Bande, die mitlerweile Berlin ihre Heimat nennt.
Mary Lee selbst war eine Erscheinung. Ihre Stimme, eine Mischung aus Honig und Wodka, hallte durch den Raum wie ein unaufhaltsamer Zug, der in der Ferne auf uns zurast. Ihr Ehemann, ein Mann mit der stoischen Ruhe eines Zen-Meisters, trieb die Drums an, als würde er das Herz eines nervösen Hais schlagen lassen. Patrick, ihr Sohn am Kontrabass, bearbeitete die Saiten wie ein Mann, der ein Duell auf Leben und Tod mit einem riesigen, hölzernen Monster austrägt.
Dann waren da noch Sorcha und Pirata. Sorcha, die Geigerin mit den feurigen Locken, deren Bogenführung die Luft in der Bar in Brand setzte, und Pirata, der Banjo-Spieler, der das Instrument behandelte wie ein Maschinengewehr. Sie feuerten ihre Noten in die Menge, die im Laufe des Abends immer berauschter wurde.
Die Mary Lee Family Band war eine seltsame Mischung, die klang wie eine verdrehte Reise durch die Weiten der Country-Musik, mit einem Abstecher durch die psychedelischen Landschaften des Rock ’n‘ Roll. Ihre eigenen Songs, wie „A Horse Named Reefer“, entführten uns auf Reisen voll von surrealen Bildern und verdrehten Metaphern. Doch dann, aus dem Nichts, rissen sie die bekannten Melodien von „Ace of Spades“ und „Girls Just Want to Have Fun“ durch die Bluegrass-Mangel, als wäre das Publikum in einem alternativen Universum gelandet, in dem Cyndi Lauper und Lemmy Kilmister Liebeskinder des Teufels waren.
Als die letzten Noten verklangen und die Lichter in der Heile Welt flackerten, blieb nur noch das Gefühl zurück, dass wir alle Zeugen von etwas gewesen waren, das sich nicht so leicht in Worte fassen ließ. Es war eine Mischung aus Wahnsinn und Magie, eine Erinnerung, die wie ein Kater am nächsten Morgen schmerzen würde, aber die man für nichts in der Welt missen möchte